Geschlechtergerechte Sprache reflektiert europäische und föderalistische Werte!

Ein Meinungsbeitrag von Amelie Witte, Henrike Gudat und Julia Schmelter

Veränderungen der Sprache haben schon immer großen Widerstand ausgelöst. Die Resistenz gegen die Verwendung geschlechtergerechter Sprache und des Gendersternchens war zu erwarten und ist normal, da Sprache etwas sehr Persönliches ist. Strikte Gegner*innen des Genderns äußern sich mit auffallender Penetranz und Kritik gegen Feminist*innen, die angeblich die deutsche Sprache verschandeln und das Recht, frei zu sprechen, einschränken wollen. Die umgekehrte Opferlogik kennen wir nur zu gut aus anderen Kontexten, in denen sich Privilegierte weigern, ihre eigene Position zu hinterfragen und ihre diskriminierenden Gewohnheiten zu ändern. Indem sie darauf beharren, alle Menschen immer mit dem Gesagten zu meinen, sprechen sie Personen, die sich durch das generische Maskulinum nicht angesprochen fühlen, ihre Gefühle und Erfahrungen ab, die sie mit dieser sprachliche Diskriminierung erleben. Genauso wie andere Diskriminierungsformen ist auch der Sexismus derart innerhalb der hegemonialen Kultur verankert, dass selbst einige Betroffene die verschiedenen Ausprägungen von Sexismus nicht wahrnehmen oder sie als irrelevant erachten. Erst langsam bildet sich ein Bewusstsein heraus – angefangen bei der Jugend, die sich im Zuge des gesellschaftlichen Wandels und Emanzipationsbewegungen weltweit zunehmend mit Fragen der Ungerechtigkeit und Ungleichheit auseinandersetzt. 

Sprache ist wirkmächtig. Sie bestimmt unsere Denk- und Handlungsmuster, prägt unsere Wahrnehmung und beeinflusst unser aller Leben. Die sprachliche Unsichtbarkeit von Frauen und Menschen, die sich außerhalb des Zwei-Geschlechtersystems bewegen, bewirkt demnach eine Unterrepräsentanz in unseren Köpfen, in unseren Entscheidungen und in unserem Alltag. Studien haben mehrfach bewiesen, dass das generische Maskulinum – entgegen dem oft bekundeten Postulat – eben nicht alle Menschen repräsentiert, auch wenn es grammatikalisch korrekt sein mag. Sprache bildet den gesellschaftlichen Wandel ab. Andersherum wandelt die Gesellschaft die Sprache und passt sie den Gegebenheiten an. In Ländern, die sich allgemein für Geschlechtergerechtigkeit stark machen, wird geschlechtersensible Sprache besser durchgesetzt. Das Europäische Parlament ist insbesondere nach der gesetzlichen Einführung des dritten Geschlechts von der Notwendigkeit einer Sprachreform überzeugt.(Geschlechterneutraler Sprachgebrauch im Europäischen Parlament 2018). Der Rat für deutsche Rechtschreibung sieht es zudem als Recht der diversen bzw. non-binären Menschen an, sich auch in der (geschriebenen) Sprache wiederzufinden (Beschluss des Rats für deutsche Rechtschreibung vom 16.11.2018).

Die entscheidende Frage ist, ob wir uns alle darauf einigen können, dass wir die Gleichstellung der Geschlechter verwirklichen wollen, wie es das Europäische Parlament vorsieht. Falls ja, kann jede Person in ihrem Alltag durch geschlechtergerechte Sprache einen kleinen Teil dazu beitragen, dass sie eher früh als spät umgesetzt wird. Ob sich dafür das Gendersternchen, der Gender-Doppelpunkt oder eine andere inklusive Form in Zukunft durchsetzen wird, ist noch nicht sicher. Das Gendersternchen und der Gender-Doppelpunkt sind (neben alternativen inklusiven Sprech- und Schreibstrategien wie dem substantivierendem Adjektiv) zusammen mit der gesprochenen Gender Gap (Lücke beim Sprechen) aktuell jedoch die gängigsten und inklusivsten Formen, alle Geschlechter in der geschriebenen sowie gesprochenen Sprache anzusprechen.

Die entscheidende Frage ist, ob wir uns alle darauf einigen können, dass wir die Gleichstellung der Geschlechter verwirklichen wollen, wie es das Europäische Parlament vorsieht. Falls ja, kann jede Person in ihrem Alltag durch geschlechtergerechte Sprache einen kleinen Teil dazu beitragen, dass sie eher früh als spät umgesetzt wird. Ob sich dafür das Gendersternchen weiter durchsetzen wird oder eine andere inklusive Form, ist noch nicht sicher. Es ist aktuell jedoch die beste Lösung, alle Geschlechter in der geschriebenen sowie gesprochenen Sprache anzusprechen.

Sprache beeinflusst den gesellschaftlichen Wandel. Andersherum wandelt die Gesellschaft die Sprache und passt sie den Gegebenheiten an. Gendern bietet außerdem die Möglichkeit, vielfältige Perspektiven auf die Welt sowie die Lebensrealitäten von Personen unterschiedlichen Geschlechts aufzuzeigen. Es ist keine Einengung eigener Freiheiten, sondern die Anerkennung anderer Lebensrealitäten und reflektiert demnach klassisch europäische Werte. Man könnte gar meinen, dass Gendern Hand in Hand mit dem Motto der EU “Geeint in Vielfalt” geht. Wir, als Befürworter*innen von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten können die Vielfalt der Geschlechter nicht weiter in einem derart wichtigen Bereich unseres Lebens ignorieren, der gleichzeitig identitäts- und Weltbild stiftend ist! Die europäische Integration, wie wir sie fordern, kann nur gelingen, wenn alle EU-Bürger*innen vollständig integriert werden – was nur erfolgen kann, wenn auch die Sprache als entscheidender Integrationsfaktor mitberücksichtigt wird. Auch Föderalismus, den wir uns auf die Fahnen schreiben, beinhaltet als Kernelement den Minderheitenschutz. Können wir uns wirklich für Föderalismus einsetzen, gleichzeitig aber Minderheiten die sprachliche Gleichberechtigung verwehren? Die klare Antwort ist Nein. 

Die Debatte ist zudem kein einzigartiges, deutsches Phänomen, sondern ein europäisches. Andere Länder machen es vor: in Frankreich existiert bereits eine aufgeschlossene Debatte (z.B. les étudiant.es) und auch in Spanien, wo die Gleichberechtigungs-Bewegung weiter ist als in Deutschland, gibt es einen gesellschaftlichen Konsens für die Nennung beider Geschlechter. In Schweden wird mittlerweile wie selbstverständlich die Wortneuschöpfung “Hen” als Zwischenform von “Hon”=sie und “Han”=er verwendet, um alle Geschlechter gleichermaßen zu meinen. Deutschlernende kennen demnach oft geschlechtergerechte Sprache bereits aus ihren Erstsprachen, sodass das Gendersternchen oder auch andere Versionen geschlechtergerechter Sprache wie der Doppelpunkt den Lernprozess nicht signifikant negativ beeinflussen. Davon abgesehen existieren in den verschiedenen Sprachen ohnehin schon unterschiedliche grammatikalische Regelungen für die Nennung bzw. Nicht-Nennung der Geschlechter. Um das Erlernen von geschlechtsspezifischen Schreibregeln kommen Deutschlernende also auch schon ohne das Gendersternchen nicht drum herum. 

Wer gendergerechte Sprache verwendet, lebt also europäische, föderalistische Werte, ob auf Deutsch oder in jeder anderen Sprache! Inklusion statt europäischer Desintegration ist die Devise!

Dieser Meinungsbeitrag wurde von den drei Landesvorstandsmitgliedern Julia, Amelie und Henrike geschrieben und enthält somit die persönliche Meinung der Autorinnen.

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