Titelbild: Nach den Ereignissen in Moria: Wir fordern neue europäische Lösungen und mehr gelebte Solidarität!

Migration und die deutsche Ratspräsidentschaft: Es fehlt an europäischer Solidarität

Als Junge Europäische Föderalist*innen verstehen wir es als unsere Hauptaufgabe, Prozesse in und um die Europäische Union nicht nur im Auge zu behalten, sondern ebenso zu kommentieren. Wie bereits in unserem ersten Beitrag zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Juli angekündigt, möchten wir daher monatlich die Ereignisse rund um die Präsidentschaft beleuchten und föderalistisch einordnen. Im Hinblick auf die jüngsten Ereignisse im griechischen Flüchtlingslager in Moria möchten wir genauer auf die Europäische Migrationspolitik und den aktuellen Reformvorschlag des Asyl- und Migrationspaketes der Europäischen Kommission eingehen. 

Wir hatten dazu die Gelegenheit, mit Anna Häßlin von der Schöpflin Stiftung, Programmleiterin für Flucht und Integration, zu sprechen. Die Schöpflin Stiftung ist eine im Jahr 2001 gegründete gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Lörrach. Sie ist lokal mit dem Suchtpräventionszentrum Villa Schöpflin und dem Kultur- und Debattenort Werkraum Schöpflin operativ tätig und engagiert sich vor Ort für eine Stärkung der Beteiligungskultur und des zivilgesellschaftlichen Engagements. Im Zentrum ihrer überregionalen Förderaktivitäten stehen demokratischer Zusammenhalt, Bildung, gemeinnütziger Journalismus, Flucht und Integration sowie eine nachhaltige und gerechte Wirtschaft. Mit ihrer Arbeit setzt sich die Stiftung ein für kritische Bewusstseinsbildung, eine lebendige Demokratie und eine vielfältige Gesellschaft in Deutschland und Europa. 

Hier ist das halbstündige Interview – hört gerne rein:

Die Ereignisse und Bilder im Flüchtlingslager in Moria auf der griechischen Insel Lesbos haben uns alle zutiefst erschüttert. Seither erfährt die europäische Asyl- und Migrationspolitik zwar deutlich mehr mediale Aufmerksamkeit, jedoch mangelt es wie zuletzt im Reformvorschlag der Europäischen Kommission an neuen Lösungen, so erläuterte Anna Häßlin in unserem Interview.

Eindeutig an dem vorliegenden Vorschlag der Europäischen Kommission erkennbar ist dabei der Wunsch, einen Kompromiss zu finden, den möglichst alle 27 EU-Mitgliedstaaten mittragen. Dies ist jedoch, so erinnert Frau Häßlin in unserem Gespräch, nicht die bestmögliche Lösung für die tausenden Menschen auf der griechischen Insel Lesbos, die weiter auf eine Perspektive aus ihrer humanitären Notlage warten. 

Die zentralen Vorhaben der Europäischen Kommission für eine neue Migrationspolitik wurden im Gespräch mit Frau Häßlin ebenfalls thematisiert. Die Absicht der Europäischen Kommission, schnellere Asylverfahren an den EU-Außengrenzen zu ermöglichen, ist schon aktuell angesichts der hohen Flüchtlingszahlen  in den zahlreichen Aufnahmezentren kaum umsetzbar. Gleichzeitig wird der Solidaritätsbegriff durch den Kommissionsvorschlag zunehmend aufgeweicht. Dabei leidet, so schildert Frau Häßlin in unserem Interview, genau die so wichtige europäische Solidarität in ihrer Substanz an Qualität, indem versucht wird, dies mit möglichst allen EU-Mitgliedstaaten umzusetzen.

Der Zivilgesellschaft kommt in der Migrationspolitik eine große Rolle zu. Es sind jene Akteure, die aufzeigen, was anstelle des status quo und darüber hinaus möglich wäre. Der Jugend kommt laut Frau Häßlin an dieser Stelle eine ebenso herausragende Stellung zu. Wichtig ist dabei, dass weiterhin auf die Thematik verwiesen wird und der damit geschaffene politische Druck auf die Entscheidungsträger*innen aufrecht erhalten wird. 

Auch in neuen EU-Erweiterungsverhandlungen mit potenziellen Mitgliedstaaten wie Albanien oder Nordmazedonien sollte die Bereitwilligkeit, solidarische Verpflichtungen einzugehen, thematisiert und in den Aufnahmeprozess aktiv eingebunden werden. Besonders in der Flüchtlingsfrage brauche es weniger Angst und mehr Mut, so argumentiert Frau Häßlin in unserem Gespräch. Die Leistung einzelner Kommunen könne dabei ebenso honoriert werden, indem neben Fördermitteln für die Unterbringung der schutzbedürftigen Menschen Infrastrukturmittel bereitgestellt werden, die dann zusätzlich vor Ort investiert werden können.

Als Junge Europäische Föderalist*innen haben wir auf Bundesebene bereits zahlreiche Beschlüsse gefasst, aus denen sich konkrete politische Forderungen ableiten lassen:

  1. Die Einrichtung einer europäischen Asylbehörde und eine gemeinsame EU-Liste von sicheren Herkunftsstaaten
  2. Eine Kontrolle von Frontex durch das Europäische Parlament
  3. Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke unter der Entscheidungsbefugnis der EU-Kommission sollen weiterentwickelt werden
  4. Die Aufnahme von Geflüchteten durch alle Mitgliedstaaten und eine Reform der Dublin-III-Verordnung
  5. Ein gerechter Verteilungsschlüssel (basierend auf BIP, Einwohnerzahl und Wünschen der Geflüchteten) muss eingeführt werden
  6. Die administrativen und rechtlichen Standards müssen harmonisiert werden
  7. Die Beachtung der Menschenrechte, v.a. die Genfer Flüchtlingskonvention und die UN-Kinderrechtskonvention
  8. Eine effektive entwicklungspolitische Strategie und Handlungspolitik zur Fluchtursachenbekämpfung muss eingerichtet werden
  9. Geflüchtete müssen nachhaltig in die europäische Gesellschaft durch Sprachkurse und Bildungsangebote integriert werden
  10. Geflüchtete sollen schnellstmöglich eine Arbeitserlaubnis bekommen
  11. Ein gemeinsamer Schutzraum für Geflüchtete in Europa
  12. Die Geltendmachung des Asylrechts muss gesichert sein
  13. Asylanträge in EU-Vertretungen und Schengen-Visa aufgrund humanitärer Dringlichkeit müssen möglich werden
  14. Flüchtlinge sollen auch aus wirtschaftlichen Gründen vorläufig aufgenommen werden
  15. Mehr Kooperation mit dem Resettlement Programm des UNHCR
  16. Die Entwicklung eines EU-Frühwarnsysteme für Flüchtlingsbewegungen

Weitere Hintergrundinformationen zur aktuellen Lage der europäischen Migrationspolitik und welche konkreten Handlungsoptionen es nun gibt, könnt ihr den untenstehenden Quellen entnehmen.


Quellen:
  1. https://www.schoepflin-stiftung.de/news/detailansicht/news/eins-und-eins-ist-mehr-als-zwei-1/
  2. https://www.schoepflin-stiftung.de/news/detailansicht/news/eu-fluechtlingspolitik-lasst-endlich-die-kommunen-mitreden/
  3. https://jef.eu/news/jef-europe-press-release-migration-the-tragedy-europe-is-ignoring/
  4. https://www.europa-union.de/ueber-uns/meldungen/aktuelles/moria-ist-ein-fanal-fuer-europa
  5. https://jef-nds.de/das-fluchtlingslager-moria-brennt-europaisches-handeln-jetzt-und-sofort/
  6. https://seebruecke.org/moria-brennt/
  7. https://www.dw.com/de/nachbesserungen-am-migrationspaket-der-eu-kommission-gefordert/a-55041282

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