Bereits zu Beginn des Jahres hat eine repräsentative Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa, die von der EBD in Auftrag gegeben wurde, offenbart, dass sich 5 von 6 der Befragten ausdrücklich europäische Themen im Rahmen der Bundestagswahl wünschen würden. Im Verlauf des Wahlkampfs mussten wir leider zur Kenntnis nehmen, dass diesem Wunsch nicht begegnet werden konnte. Es ist nicht klar geworden, wie die Kandidierenden sich zu europapolitischen Themen positionieren und welche konkreten Maßnahmen sie in den nächsten Jahren auf europäischer Ebene angehen wollen.
Daher müssen umso mehr europäische Lösungswege in den Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen der nächsten Wochen in allen Politikbereichen mitgedacht werden. Denn europäische Antworten auf aktuelle Herausforderungen sind dringender denn je. Dabei geht es immer auch um die Besetzung der deutschen Positionen in den EU-Ministerräten und im europäischen Rat.
Als Europa-Union erwarten wir von allen Parteien, die sich nun in Gespräche zur Bildung einer Regierung begeben, dass eine klare europäische Agenda mit einem kohärenten Europaplan Grundvoraussetzung für alle weiteren Verhandlungen sein muss. Europa hat während des Wahlkampfs auf Deutschland geblickt – Deutschland aber nur selten nach Europa. Europa kann sich allerdings keine deutsche Nabelschau leisten. Allein durch seine Größe, wirtschaftliche Bedeutung und die Geschichte der europäischen Einigung kommt Deutschland eine bedeutende Rolle zu, der es sich zuletzt kaum bewusst schien. Historisch hat Deutschland oft bewusst eine Führungsrolle in der europäischen Integration angestrebt und auch heute steht es in dieser Verantwortung. Es muss ein verlässlicher Partner in Europa zu sein. Die Europäische Union befindet sich aktuell in einem Spannungsfeld, in dem sie ihrer globalen Rolle in einer komplexer werdenden Welt gerecht werden, die solidarische Verteilung von Geflüchteten organisieren und die Folgen der Klimakatastrophe gemeinschaftlich abmildern muss. Die Konstruktionsschwächen der eigenen Institutionen tragen zusätzlich dazu bei, dass sie nicht immer angemessen auf diese Herausforderungen reagieren kann.
Heute wird eine handlungsfähige und geeinte Europäische Union mehr denn je gebraucht. Daher erwarten wir, dass die Parteien ihre guten europäischen Ideen aus den Wahlprogrammen mit Nachdruck in die Gespräche einbringen und die deutsche Europapolitik im künftigen Koalitionsvertrag strukturell sowie inhaltlich neu definiert wird. Es bedarf einer selbstbewussten und mutigen deutschen Europapolitik aus einem Guss.
Dies vorausgeschickt fordern wir als Europäische Föderalisten die verhandelnden Parteien auf:
● Europapolitik als Querschnittsaufgabe deutscher Regierungsarbeit zu etablieren;
● Die Koalitionsverhandlungen zügig zum Erfolg zu führen, damit die EU auf die drängenden Fragen unserer Zeit bald eine Antwort geben kann;
● Gemeinsam mit den proeuropäischen Kräften – insbesondere in Frankreich und Italien – wieder progressiv voranzugehen, um dem europäischen Projekt neuen Schwung zu verleihen.