Rassismus – Ein europäisches Erbe christlichen Ursprungs durch weiße Eroberer

Ist Rassismus so alt wie die Menschheit selbst? Nein! Als Ursprung rassistischen Denkens gilt die strukturelle Diskriminierung von Jüd*innen und Muslim*innen durch die spanischen Eroberer auf der iberischen Halbinsel im 15. Jahrhundert. Im Zuge der Reconquista durch das christliche Spanien wurden zehntausende Bewohner*innen Andalusiens vertrieben und diejenigen, die blieben, zwangskonvertiert. Mit der Erfindung des Konzepts des “Reinen Blutes” wurde die anhaltende Diskriminierung von ansässigen Muslim*innen und Jüd*innen gerechtfertigt. Als Beweis ihrer angeblichen Minderwertigkeit wurden ihnen bestimmte biologische Merkmale zugeschrieben, die mit einer Zwangskonversion zum Christentum nicht zu korrigieren waren. Denn Vorgängerin der biologistischen Diskriminierung war die religiöse, die in den Jahrhunderten zuvor Eroberungszügen und Gewalttaten Absolution erteilte. Die Entstehungsgeschichte des ausbeuterischen Systems zu kennen ist notwendig, um den bis in die Gegenwart anhaltenden Rassismus zu verstehen.

Nachdem sich Wissenschaftler*innen schon seit Jahrzehnten mit der Analyse rassistischer Strukturen innerhalb verschiedenen Gruppen und Räumen der Gesellschaft beschäftigen, ist der Antirassismus endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Zunehmend kritisch wird in den Medien, insbesondere in der Popkultur, mit rassistischen Äußerungen umgegangen und Organisationen setzen immer mehr gezielt auf Antirassismusarbeit und Diversität. Trainings- und Workshopangebote sowie Unternehmensberatung zur kritischen Auseinandersetzung mit Rassismus, zum Abbau von Vorurteilen und zur Entwicklung antirassistischer Strategien sind dabei, sich zu etablieren. Aber wem haben wir die gestiegene Aufmerksamkeit eigentlich zu verdanken, die das Thema endlich erfährt?

Als frühe Antirassismusbewegungen werden oft die Anti-Sklaverei-Bewegung und die jüdische Emanzipation genannt, die beide im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt hatten. Dänemark verbot den Menschenhandel schon 1722. Die Abschaffung des Sklav*innenenhandels wurde in Portugal 1761 rechtskräftig, in Großbritannien im Jahr 1808 und in Frankreich 1848. Sklaverei bestand jedoch fast überall bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts weiter. In Deutschland konnten erst in den 1880er Jahren christliche Vereine eine organisierte Anti-Sklaverei-Bewegung befeuern, obwohl sich der deutsche Kolonialismus zusammen mit dem britischen offiziell dem Kampf gegen Sklaverei verschrieben hatte. Die wirtschaftliche Erschließung Afrikas wurde als notwendig erachtet, um Sklav*innenjagden abzuschaffen. Sklav*innen und ihre Ausbeutung wurden daher nicht als solche benannt. Die Argumente gegen Sklavenhandel waren vor allem religiös ideell und moralisch sowie teilweise sogar wirtschaftlich begründet. 

Seit dem 18. Jahrhundert wurden in Europa immer wieder Reformbestrebungen laut, die Jüd*innen mehr Rechte zugestanden. Neben ihrer teilweise erfolgenden Umsetzung wurden jedoch immer ihre Rechte eingeschränkt. Erst nach und nach erhielten jüdische Bürger*innen gleiche Rechte, bis sie schließlich 1874 mit einer Schweizer Verfassungsänderung in ganz West- und Mitteleuropa als gleichberechtigt galten.

Zu kurz kommen in der Geschichte über die europäischen Antirassismus- und Antisemitismusbewegung die Aufstände der Unterdrückten. Unser Geschichtsbewusstsein ist auf der einen Seite geprägt vom Wissen über Ausbeutung durch europäische Großmächte, andererseits von Zufriedenheit über die humanistischen Reformen, die den Glauben an eine Überlegenheit der europäischen Kultur stärkt.

Die großen Debatten unserer Zeit um chancengerechte Bildung, Arbeit und Partizipation, um Racial Profiling und Polizeigewalt, um White Privilege und White Fragility, um kulturelle Aneignung und Black Facing, um Data und Ecological Racism sowie um Repräsentation werden vor allem aus dem US-amerikanischen Raum angestoßen, wie die überwiegend englischen Bezeichnungen für rassistisch geprägte Phänomene zeigen. Vielen antirassistischen Protesten liegen besonders schwere Gewalttaten zugrunde, die etwa durch die Polizei oder rassistische Gruppierungen und Einzeltäter*innen verübt worden sind. Neben dem Civil Rights Movement (dt. Bürgerrechtsbewegung) sind ganz aktuell die Proteste infolge der Tötung des unbewaffneten Afroamerikaners George Floyd sowie Breonna Taylor durch Polizisten zu nennen. Neben den Protesten auf der Straße stellt die Rassismuskritik im akademischen Diskurs einen bedeutenden Teil der Antirassismus-Bewegung dar. Die Aufarbeitung von rassistischer Diskriminierung steckt aber erst in den Kinderschuhen und allein eine antirassistische Bewegung, in der Betroffene als sprach- und handlungsmächtige Akteur*innen den Diskurs primär mitbestimmen, wird die vielschichtigen und vielfältigen Diskriminierungsformen offenlegen und damit Problemlösungen aufzeigen können. Auch in Europa müssen wir die Stimmen all jener Personen mit Rassismuserfahrung zu Wort kommen lassen, ihnen zuhören und Erfahrungen als Wissen mit Wahrheitsanspruch einordnen – und nicht ausschließlich als subjektive Empfindungen verstehen, die in einer aufklärerischen Debatte nichts zu suchen haben. 

Am heutigen Welttag gegen Rassismus möchten wir unsere Aufgabe als Junge Europäische Föderalist*innen erneut bekräftigen. Weiterhin gilt für uns, dass “wir größtmögliche Individualität bei gleichzeitiger Solidarität über alle Unterschiede hinweg gewährleisten möchten”, dass “wir im Kern ein antirassistischer Verband sind, der sich gegen jede Menschenfeindlichkeit auf der Welt positionieren muss” und wir nicht aufhören werden, uns antirassistisch einzusetzen!

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