Generation E – Mach’ was draus! Unsere Visionen eines Europas von Morgen
Analyse:
Am 9. Mai 2020 jährte sich zum 70. Mal die “Schumann-Erklärung”, die als Geburtsstunde der heutigen Europäischen Union verstanden wird. Im Kern steht in dieser Erklärung, dass “mit Empathie und gegenseitigem Respekt gemeinsame Lösungen [entwickelt werden sollten], anstatt im jeweils anderen die Ursache des Problems zu sehen.” Durch die Covid-19-Pandemie konnten wir den 70. Geburtstag der EU leider nicht wie gewohnt feiern, doch ist es umso mehr Auftrag für uns und alle Mitgliedstaaten der EU, diese Botschaft des Zusammenhalts nicht aus den Augen zu verlieren. Die Bewältigung der Pandemie führt uns vor Augen, dass die Europäische Union gemeinschaftlich gestärkt werden muss, denn jede Krise bietet Raum für Verbesserungen!
Nichtsdestotrotz müssen wir feststellen, dass die Europäische Union vor dem Hintergrund der derzeitigen Covid-19-Pandemie vor einer wegweisenden Zeit steht. Seit dem Bestehen der Gemeinschaft ist die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie wohl eine der größten Aufgaben, mit der sich die Gemeinschaft bislang konfrontiert sah. Sollte es der EU nicht gelingen, eine europäische Antwort und gemeinschaftliche Lösung auf die durch die Pandemie aufgeworfenen Fragen zu finden, könnte das in der Geschichte beispiellose Projekt der europäischen Integration nicht so fortbestehen, wie wir es bis zu diesem Zeitpunkt kennen.
Im Umgang mit der Corona-Krise mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass sich die EU- Mitgliedstaaten in den Märzwochen fast ausschließlich auf unkoordinierte nationale Handlungen und willkürlich verhängte Grenzschließungen konzentrierten. Das führte zur absurden Situation, dass wir das 25. Jubiläum des Schengener Abkommens – eine der größten Errungenschaften Europas–hinter geschlossenen Grenzbäumen begehen mussten.
An manchen Orten wurde diese Krise sogar dafür ausgenutzt, demokratische Strukturen und rechtsstaatliche Prinzipien zu untergraben. Dies ist selbstverständlich nicht der richtige Weg, einer Krise zu begegnen. Dies sollte uns vor allem lehren, dass eine Pandemie eben auch gesamteuropäische Lösungen braucht. In diesem Sinne ist eine starke und einheitliche europäische Antwort zur Krisenbewältigung bitter nötig! Neben der Bewältigung der Covid-19-Pandemie gibt es in den kommenden Monaten aber auch weitere wichtige Aspekte, die mit Blick auf die Handlungsfähigkeit der EU essenziell sind. Ein zentraler Aspekt ist dabei eine zeitnahe Einigung bezüglich des mehrjährigen Finanzrahmens für die Periode 2021 – 2027. Die Schaffung von Klarheit für die kommenden Jahre ist an dieser Stelle unabdingbar dafür, viele wichtige Projekte in ganz Europa weiter fördern zu können, da sie mit Hilfe dieser Fördergelder überhaupt erst realisiert beziehungsweise aktiv gehalten werden konnten oder können. Daneben ist es auch wichtig, bis zum Ablauf des Jahres Klarheit in den Brexit-Verhandlungen zu schaffen, da viele Aspekte hieraus von essentieller Bedeutung für zukünftige Beziehungen zwischen unserem Bundesland und dem Vereinigten Königreich sind. Dazu zählen z.B. die künftigen Handelsbeziehungen oder die Nutzung von Fischereigründen in der Irischen See für die wirtschaftliche Stabilität der niedersächsischen Industrie.
Die Vorschläge der Europäischen Kommission für eine europäische Industriestrategie und ein umfangreicher Fahrplan zur Umsetzung des „Green Deal“ stehen ebenso zur Beratung aus. Vermutlich wird es aber zu einer deutlichen Priorisierung und Reduzierung der Themen kommen müssen. Wir als Junge Europäische Föderalist*innen werden die aktuelle Situation rund um die veränderte Vergabe von Geldern hinsichtlich der Reaktion auf die Covid-19-Pandemie aufmerksam beobachten und kommentieren.
Zum 1. Juli 2020 wird Deutschland zudem für einen Zeitraum von sechs Monaten den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernehmen. Durch die Ausübung dieser Ratspräsidentschaft werden Deutschland wichtige Aufgaben zur Gestaltung der europäischen Politik zuteil. Als größtes Mitgliedsland der EU hat Deutschland die Pflicht im Sinne dieses Amtes progressiv voranzugehen und intensiv an einer zukunftsfähigen Gemeinschaft zu arbeiten. Nichtsdestotrotz wird die Covid-19-Pandemie massiven Einfluss auf die deutsche Ratspräsidentschaft nehmen. Nicht nur die Gestaltung einer eigenen Agenda, sondern auch die Planung sowie Durchführung von eigenen Veranstaltungen sind hiervon maßgeblich betroffen. Der Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft wird zuvorderst am Krisenmanagement, der Handlungsfähigkeit und der Aufrechterhaltung der fortschreitenden EU-Integration zu messen sein.
Als Junge Europäische Föderalist*innen Niedersachsen werden wir diese Zeit kritisch begleiten und stets unseren Anspruch an der deutschen Ratspräsidentschaft verdeutlichen. Dieses Fenster europäischer Aufmerksamkeit in Deutschland und Niedersachsen wollen wir bewusst dafür nutzen, eigene Schwerpunkte und Themen zur Fortentwicklung Europas zu setzen. Nicht ohne Grund spricht die Shell-Jugendstudie von der Generation Europa. Wir sind mit allen Errungenschaften, die aus diesem Gemeinschaftsprojekt entsprungen sind, aufgewachsen und profitieren tagtäglich von Reisefreiheit sowie grenzüberschreitenden Programmen. Lasst uns als Generation Europa also gemeinsam was daraus machen und von unserer Vision eines Europas von Morgen sprechen. Dafür liegt ein Großteil der Arbeit noch vor uns!
Dies vorausgeschickt fordern wir als Junge Europäische Föderalist*innen Niedersachsen im Hinblick auf die deutsche Ratspräsidentschaft:
- die Bundesregierung dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass die Konferenz zur Zukunft Europas rasch nach Ende des Kontaktverbots stattfindet. Zusätzlich darf die Konferenz zur Zukunft Europas nicht zur bloßen Zuhörübung verkommen, sodass wir von allen deutschen Entscheidungsträger*innen erwarten, progressive Impulse für einen offenen und ehrlichen Dialog über Europa in den Prozess einfließen zu lassen, damit die Europäische Union insgesamt zukunftsfester, solidarischer und krisenfester aufgestellt werden kann.
- dass sich die Position Deutschlands innerhalb der EU massiv verändert! Wir fordern mehr echte Solidarität statt Scheinbekundungen! Eine solidarische, europäische Lösung für unsere Probleme muss her! Wir fordern eine strikte Abkehr von nationalen Alleingängen, wie wir sie etwa im aktuellen “Corona-Nationalismus” sehen! Auch die Abschaffung der innereuropäischen Steueroasen gehört dazu, damit ein innereuropäischer Preiskampf um zu zahlende Steuern verhindert wird.
- dass die EU sich nach der Corona-Krise neu auf der geopolitischen Weltbühne zu verorten hat. Unsere Beziehungen zu diversen Staaten und Verbündeten muss überdacht und neu bewertet werden. Wir setzen uns hiermit dafür ein, dass wir uns außenpolitisch wieder stärker auf die Einhaltung der Menschenrechte, sozialer sowie ökologischer Standards berufen.
- dass die EU-27 dafür Sorge tragen, den Rechtsstaatsmechanismus gemäß Artikel 7 EUV konsequent zur Anwendung zu bringen und den Vorschlag der Kommission zu unterstützen, dass Zahlungen aus dem EU-Haushalt an die Einhaltung demokratischer Standards gekoppelt werden. Zusätzlich braucht es ein neues Instrument, um den Status Quo bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in den Mitgliedstaaten zu überwachen.
- dass die sogenannten Internetriesen bzw. -konzerne angemessen an ihrem Umsatz besteuert werden und Social-Media-Plattformen, wie etwa Facebook, stärker hinsichtlich der Verbreitung von Fake News kontrolliert werden.
- in Reaktion auf die wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Covid-19-Pandemie zu überlegen, eine europaweite Begrenzung der Gehälter von Fußballspielern einzuführen, um die Vereine über die Krise hinaus zu retten.
- dass sich die EU-Mitgliedstaaten gemeinschaftlich für eine Erhöhung der nationalen Beiträge auf mindestens 1,3 Prozent des jeweiligen BNE (Bruttonationaleinkommen) einsetzen. Dies kann gewährleisten, dass die EU weiterhin ihren stetig wachsenden Aufgaben nachkommen kann und stärker auf Zukunftsaufgaben ausgerichtet ist. Der vorgeschlagene Wiederaufbaufonds sollte integraler Bestandteil des MFR (mehrjähriger Finanzrahmen) werden, damit die demokratische Kontrolle über die Investitionen durch das Europäische Parlament gewährleistet bleibt. Die erfolgten Umverteilungen von Mitteln zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie dürfen nicht dazu führen, dass langfristige Ziele, etwa im Klimaschutz, auf Dauer vernachlässigt werden.
- dass die EU zusätzlich zu den nationalen Beiträgen auf mehr Eigenmittel zur Finanzierung ihres Haushaltes zurückgreifen kann. Dazu soll die EU in der Lage sein, eigene Steuern erheben zu können, wie etwa eine Plastik- oder Finanztransaktionssteuer.
- dass Deutschland als Zeichen des guten Willens und seiner Verpflichtung Europa gegenüber als größter Einzahler in den EU-Haushalt darauf verzichtet, einen nationalen Rabatt bei den Beiträgen zu erhalten.
- dass sich alle Beteiligten dafür einsetzen, die Eurozone fit für neue Herausforderungen zu machen, da das jüngste Urteil des BVerfG deutlich macht, dass eine Währungsunion wie die Eurozone finanzpolitische Integrationsschritte nicht alleine der EZB überlassen kann. Zusätzlich fordern wir die Regierungen der Eurozone dazu auf, die Debatte zur Reform der Eurozone im Sinne stärkerer europäischer Solidarität voranzutreiben.
- dass sich Deutschland dafür einsetzt, die Kompetenzen des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten auszuweiten sowie mit den notwendigen Ressourcen auszustatten, sodass dieses in Zukunft EU-weite Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie vorschreiben und nationalen Regierungen Hilfe leisten kann.
- sich dafür einzusetzen, dass alle junge Menschen die Chance erhalten, den Alltag in einem anderen europäischen Land mitzuerleben und darüber das europäische Wir-Gefühl niedrigschwellig zu schaffen.
- dass alle an den Verhandlungen Beteiligten dazu aufgerufen werden, zeitnah den Abschluss eines Handelsabkommen sowie Klarheit zur Nutzung der Fischereigründe in der Irischen See mit dem Vereinigten Königreich voranzutreiben.
- die Einführung des Europatages am 9. Mai als europaweit gesetzlichen Feiertag, um das Bewusstsein für die Schuman-Erklärung 1950 als Grundstein für die europäische Zusammenarbeit zu stärken.
- dass die Beitrittsverhandlungen mit Staaten des Balkans trotz Corona und anderer innereuropäischer Themen weiterhin eine gewisse Priorität haben sollten. Wir müssen diesen Staaten eine Beitrittsperspektive in die Europäische Union bieten, damit sie sich nicht anderen geopolitischen Akteuren zuwenden. Daher fordern wir die Weiterführung und Voranbringung der Beitrittsverhandlungen.
- dass sich Deutschland für die Errichtung eines Europäischen Mediennetzwerks starkmacht, das mit Nachrichten und Unterhaltungsformaten ausgestaltet werden soll. Die Inhalte bzw. die Programmbeiträge sollen mit Untertitelung in allen europäischen Amtssprachen verfügbar gemacht werden.
- dass eine gesamteuropäische Strategie zum Ausbau der digitalen Infrastruktur und Digitalisierung dringend aufgebaut und ausgebaut wird! Hier müssen regionale Unterschiede, etwa den wirtschaftlichen Wohlstand betreffend, ins Gewicht fallen, so dass kein Gebiet benachteiligt wird.