Mehrjähriger Finanzrahmen – Großer Schritt mit einigen Schwächen

Als Junge Europäische Föderalist*innen verstehen wir es als unsere Hauptaufgabe, Prozesse in und um die Europäische Union nicht nur im Auge zu behalten, sondern ebenso zu kommentieren. Wie bereits in unserem ersten Beitrag zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft angekündigt, möchten wir daher nun monatlich die Ereignisse rund um die Präsidentschaft beleuchten und föderalistisch einordnen. Im Hinblick auf die jüngsten Verhandlungen wird es in diesem ersten Beitrag um den Mehrjährigen Finanzrahmen gehen.

Nach fast 90 Stunden Verhandlungen haben sich die Staats- und Regierungschef*innen der einzelnen Mitgliedstaaten im Europäischen Rat, (zumindest untereinander – Verhandlungen mit dem Parlament stehen noch aus) auf den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU für die nächsten sieben Jahre (2021-2027) in Höhe von 1,8 Billionen Euro geeinigt. 750 Milliarden Euro sollen davon für einen Wiederaufbaufonds zur Bewältigung der Folgen durch die Corona-Krise verwendet werden. 

Wir hatten die Chance, für euch ein Interview mit dem EU-Korrespondenten des WDR/NDR Hörfunkstudios in Brüssel Ralph Sina zu führen. Dieser hat uns spannende Hintergrundinformationen zum EU-Haushalt und den Einigungen des Europäischen Rates gegeben.

Hier ist das 17 minütige Interview – hört gerne rein. JEF Niedersachsen · Interview mit Ralph Sina zum Ausgang des EU-Gipfels

Auch wenn das Ergebnis der langen Verhandlungen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten noch Raum für Verbesserungen bietet, ist es dennoch bemerkenswert. Da einige Staaten zugunsten nationaler Interessen die Verhandlungen gezielt untergraben haben, hatten bereits einige Politiker*innen während des Gipfels verlauten lassen, dass eine Nichteinigung immer wahrscheinlicher werde. Dass dennoch das bisher größte Haushalts- & Finanzpaket auf EU-Ebene beschlossenen werden konnte, ist ein großer Schritt.

Besonders hervorheben möchten wir den Vorschlag, dass die Europäische Kommission ermächtigt werden soll, Anleihen auszugeben. Die EU könnte sich somit gemeinschaftlich Geld an den Kapitalmärkten beschaffen. Dies ist eine historische Entscheidung und ein fundamentaler Schritt in Richtung einer europäischen Solidargemeinschaft, wie wir sie uns wünschen.

Trotz der im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag des Duos Merkel & Macron reduzierten Summe von 390 Milliarden Euro (statt 500 Milliarden), welche sich die EU “beschaffen” darf, begrüßen wir diesen Kompromiss.. Zu den 390 Milliarden an Zuschüssen kommen weitere 360 Milliarden als Kredite hinzu.

Die Vergabe dieser gemeinschaftlichen Gelder, gerade hinsichtlich des Ausbaus und der Verbesserungen im medizinischen Sektor, ebenso wie in Richtung neuer und ökologischer Technologien, würde unserer Meinung nach Vorteile bringen. Eine gemeinsame und solidarische Verschuldung könnte in Zukunft für eine Angleichung der Lebensstandards beziehungsweise eine Verminderung des Wohlstandsgefälles sorgen. Dies würde finanziell schwächere Staaten unabhängiger von anderen EU-Staaten machen. Leider wurde im bisherigen Deal noch keine genaue Verwendung der Anleihen beschlossen. Wir fordern, dass das Europäische Parlament im Vergabeprozess der Gelder ein Mitspracherecht erhält! Nur durch eine parlamentarische Kontrolle kann eine ordnungsgemäße und sinnvolle Investition der Gelder erreicht werden. Die Einhaltung ökologischer Standards, die Förderung zukunftsfähiger Technologien und der weitere Ausbau medizinischer und sozialer Kapazitäten darf nicht zu kurz kommen!

Auch wenn es Kritiker*innen unwahrscheinlich erscheint, dass die EU in Zukunft eigenständig Abgaben oder auch Mittel von den Unionsbürger*innen beziehen darf, unterstützen wir, die JEF Niedersachsen, die Forderung nach der Einführung einer Abgabe auf Plastik. Diese Summen werden direkt an die EU abgeführt, sodass diese gesamtwirtschaftlich und solidarisch weitere Gelder verteilen kann. Nur durch Haushaltsmittel, welche unabhängig vom Willen der jeweiligen nationalen Regierungen bezogen werden können, ist die EU zukunftsfähig und flexibel genug aufgestellt, um auf  weitere neue Herausforderungen schnell, solidarisch und vor allem europäisch reagieren zu können! Alles in allem begrüßen wir es, dass mit der gemeinsamen Schuldenaufnahme und höheren Eigenmitteln zwei klassische JEF Forderungen in den Deal aufgenommen wurden.

Unser größter Kritikpunkt an dem Ratsbeschluss ist, dass Mitgliedstaaten, um EU- Mittel zu erhalten, nicht verpflichtet werden, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten. Dazu gehört etwa die Pressefreiheit, die in Polen und Ungarn teilweise stark beschnitten wird . Dies sehen wir als höchst problematisch an, da die in Artikel 11 der Grundrechtecharta enthaltene Pressefreiheit zentraler Bestandteil der europäischen Werte ist. Zu rechtsstaatlichen Prinzipien gehört auch die Gewaltenteilung, welche nach diversen Justizreformen beispielsweise in Polen stark gefährdet ist. Regierungen, die rechtsstaatliche Prinzipien nicht einhalten, sind keine europäischen Partner*innen! Diese Transformation zu illiberalen Demokratien dürfen wir weder fördern, noch zulassen! Mit der Bindung der Auszahlung von EU-Geldern an rechtsstaatliche Prinzipien erhoffen wir uns ein Wiedererstarken der Demokratie in Mitgliedstaaten mit illiberalen Tendenzen.

Das Verhandlungsergebnis bedarf nun noch der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Hier kommt es also auf die einzelnen Abgeordneten an, dringende Nachbesserungen durchzusetzen. Die großen Fraktionen im Parlament haben bereits angekündigt, sich insbesondere für mehr Geld im Hinblick auf Klimaschutz, Forschung und Austauschprogramme (ERASMUS), sowie für eine Kürzung der EU-Gelder bei Verletzung der Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. Wir hoffen, dass das Parlament progressiv vorangeht und sich standhaft in den Nachverhandlungen an diese Ankündigungen hält. Sowohl für die Bindung an rechtsstaatliche Prinzipien als auch für einen Kontrollmechanismus muss sich das Parlament bei der neuartigen Geldvergabe durchsetzen können.

Mehr zu der Rolle des Parlaments und dem Ärgernis nationaler Einzelgänge findet ihr im Statement der JEF Deutschland sowie der JEF Europe.

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