Ein Durchbruch in Anführungszeichen: Rechtsstaatlichkeit auch in Polen und Ungarn?

Gute Neuigkeiten gibt es in diesen Zeiten relativ selten, doch jetzt gibt es erfreuliche Nachrichten aus Brüssel. Die EU hat sich auf ein Verfahren geeinigt, welches es endlich möglich macht Staaten finanziell dafür zu sanktionieren, dass sie sich nicht an rechtsstaatliche Prinzipien halten. Die Kommission hatte bereits 2018 einen derartigen Vorschlag gemacht, dieser kam allerdings nicht durch den Europäischen Rat. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft wurde der Entwurf nun erneut eingebracht. Hier enden die positiven Nachrichten allerdings auch schon fast. Es wurde zwar ein Entwurf für einen Rechtsstaatsmechanismus eingebracht, allerdings entspricht dieser nicht dem ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission. Im Originalentwurf wurden Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit automatisch mit einer Kürzung der ausgezahlten Gelder sanktioniert, ohne dass der Europäische Rat dafür eigenständig hätte handeln müssen. Der Europäische Rat hätte nur dann aktiv werden müssen, wenn die vorgesehene Sanktionierung bei den Staats- und Regierungschefs auf Widerstand gestoßen wäre. 

Laut dem nun angenommenen Mechanismus muss der Europäische Rat jedoch, nachdem die Kommission Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit feststellt, diese mit qualifizierter Mehrheit beschließen. Diese Änderungen sind eindeutig ein Zugeständnis an Länder wie Polen und Ungarn, welche aller Voraussicht nach auch diejenigen sein werden, gegen die der Rat den Mechanismus zukünftig anwenden wird. Dass die EU es allerdings überhaupt geschafft hat, gegen den Willen gewisser Staaten endlich ein solches Verfahren umzusetzen, ist ein enormer Erfolg für Europa und endlich ein Zeichen dafür, dass die Europäische Union ihren Wertekodex auch nach innen schützen will. 

DEN RECHTSstaatsMECHANISMUS IN DIE TAT UMSETZEN

Der Prozess hin zu einer wirklich funktionierenden Sanktionierung von Verstößen gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ist damit jedoch noch nicht vollendet. Polen und Ungarn konnten zwar trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einer Kopplung der Rechtsstaatlichkeit an die Ausschüttung von EU-Fördermitteln nicht verhindern, dass ein solcher Mechanismus beschlossen wurde, allerdings blockieren beide Länder als Reaktion auf diesen Beschluss nun die finalen Beratungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen. Sie drohen gar damit, den neuen EU-Haushalt abzulehnen. Entgegen des Rechtsstaatsmechanismus, der per qualifizierter Mehrheit beschlossen werden kann, muss der EU-Haushalt einstimmig verabschiedet werden. Somit verfügen beide Länder über ein Vetorecht, mit dessen Ausübung sie versuchen, die Europäische Union dazu zu zwingen, den Vorstoß in der Frage der Rechtsstaatlichkeit zurückzuziehen. 

Durch das potenzielle Veto dieser Staaten wird nicht nur der Haushaltsrahmen für die nächsten sieben Jahre, sondern auch die Ausschüttung von Hilfsgeldern in Höhe von über 700 Milliarden Euro als Corona-Soforthilfen für die Mitgliedstaaten, blockiert. Die EU muss in dieser Angelegenheit nun zeitnah eine Lösung finden, ohne sich von Ungarn und Polen zu weiteren Zugeständnissen hin zu einer Aufweichung des Rechtsstaatsmechanismus erpressen zu lassen! 

ZUM RULE OF LAW REPORT

Die Notwendigkeit einer solchen Reform zeigt der von der Kommission erstellte Rule of Law Report. Die Lage der Rechtsstaatlichkeit ist durch die jahrelange illiberale Politik von inzwischen fast autoritär agierenden Regierungen in Osteuropa als kritisch anzusehen. Der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit zeigt, dass ohne direkten Druck von außerhalb, wie es die Streichung von dringend benötigten Geldern wäre, nationale Regierungen eine Politik verfolgen, die gegen Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstößt. Sie unterminieren die Unabhängigkeit der Justiz und ignorieren Korruption, wenn es ihnen hilft, an der Macht zu bleiben. 

Mehr Informationen über den Rule of Law Report gibt es auf der Website der EU-Kommission.

Dieser Bericht ist allerdings kaum mehr als eine gut gemeinte Geste, denn als konkrete Maßnahme ergibt sich aus dem Bericht nur die Aufnahme eines Dialogverfahrens, um den betroffenen Mitgliedstaaten bedenkliche Entwicklungen und Zustände aufzuzeigen, sowie die Unterstützung der Europäischen Kommission, diese Zustände zu beheben. Fragwürdig bleibt dabei, ob es in Ländern wie Polen oder Ungarn gelingen kann, allein durch ein solches Verfahren, ohne unmittelbare Konsequenzen, eine Verbesserung der Situation zu erreichen. Die EU muss daher ihre neu gewonnenen Möglichkeiten schnell und konsequent umsetzen, um die langjährigen Problemländer wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Offensichtlich kann die Europäische Union nur über die Androhung des Wegfalls von EU-Mitteln Druck auf die betroffenen Staaten ausüben, da diese besonders auf die EU-Fördermittel angewiesen sind. 

Womöglich handelt es sich bei der aktuellen Debatte um eine zukunftsweisende Weichenstellung für die Europäische Union, ihre Grundwerte tatkräftig innerhalb der Gemeinschaft zu verteidigen. Die Europäische Union muss jetzt beweisen, dass sie sich nicht von einigen wenigen Regierungen zu einem erneuten Kompromiss oder gar einem Verzicht auf einen Mechanismus zur Sanktionierung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit überreden lässt, sondern den nun vereinbarten Vorschlag konsequent verwirklicht!

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